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20. November 2024Das Schulsystem in Singapur gehört zu den besten weltweit, eines der strengsten ist es auf jeden Fall. Was zählt, ist Leistung und dafür sind singapurische Eltern bereit, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen.
Das Schulsystem in Singapur gehört zu den besten weltweit, eines der strengsten ist es auf jeden Fall. Was zählt, ist Leistung und dafür sind singapurische Eltern bereit, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen.
Lernen und Bildung haben in diesem Teil der Welt eine eigene Bedeutung. Gemäß der konfuzianischen Betrachtung stellt Bildung einen hohen Wert an sich dar. Zudem werten herausragende Leistungen das Ansehen der ganzen Familie auf und sind ein Vehikel, das den Weg zu Erfolg und Wohlstand ebnet. Ein exzellentes Bildungssystem galt bereits 1965 nach der Gründung Singapurs als wichtiger Pfeiler und Erfolgsgarant für den Aufbau des Landes und damit seiner Gesellschaft. Während das Bildungsniveau in den 1960er Jahren noch dem eines Entwicklungslandes entsprach, zeichnet sich die Bildungslandschaft des Inselstaats längst durch einen sehr hohen Standard aus. Singapur ist stolz darauf, gerade in den Fächern Mathematik und Naturwissenschaften im internationalen Vergleich Jahr für Jahr hervorragend abzuschneiden. Pisa-Studie und Times-Higher Education Index belegen das regelmäßig. Seit den 1990er Jahren entwickelte sich Singapur sogar zum Zentrum der wissensbasierten Wirtschaft und zieht seitdem Wissenschaftler aus aller Welt an.
Bildung als höchstes Familienziel
Bis zur Selbstaufgabe tun ambitionierte Eltern alles, um ihren Sprössling auf einen erfolgreichen Weg zu bringen. Und der heißt: Lernen, Lernen, Lernen. Dies gilt im Übrigen auch für die anderen Tigerstaaten Taiwan, Hongkong und Südkorea. Disziplin und bedingungsloser Gehorsam scheinen die Voraussetzungen für überdurchschnittliche akademische Leistungen zu sein. Schulisches Versagen kommt einer Familienschande gleich, die unter allen Umständen verhindert werden soll. „Setz dich hin und lerne!“ ist daher der häufigste Satz, den Kinder und Jugendliche von ihren Eltern zu hören bekommen. Draußen spielen, sich mit Freunden verabreden oder einfach einmal nichts tun, gilt als Zeitverschwendung. Dagegen stehen Talentförderung im frühkindlichen Alter, Eliteschulen, Examensergebnisse mit Höchstnoten hoch im Kurs. Selbst Windelträger lernen bereits Fremdsprachen und Grundlagen in Ökonomie, lange bevor sie überhaupt eingeschult werden.
Die Themen Auslese und Elitenbildung werden in Singapur offen angesprochen. Regelmäßig werden Bestenlisten mit den erfolgreichsten Schülern in Zeitungen sowie auf Bushaltestellen-Plakaten veröffentlicht. Fragt man Singapurer nach dem Alter ihrer Kinder erhält man selten die Antwort: „Mein Sohn ist acht Jahre alt“ oder „Meine Tochter wird nächsten Monat dreizehn“. Meistens erhält man auf seine Frage die Angabe der Jahrgangsstufe mit dem Hinweis auf die bisherigen schulischen Leistungen und Auszeichnungen. Die Schullaufbahn beginnt im Alter von vier Jahren mit einem zweijährigen Kindergarten, in dem aber bereits unterrichtet wird. Daran schließt sich die Primary School an, die sechs Jahrgangsstufen umfasst. Sie endet mit den gefürchteten, den weiteren Werdegang bestimmenden Primary School Leaving Exams (PSLE). Nur wer hier gut abschneidet, hat die Chance, an einer entsprechenden Secondary School, vergleichbar mit unseren Gymnasien, aufgenommen zu werden. Der Abschluss an dieser nach weiteren sechs Jahren entscheidet darüber, welches Studium an welcher Universität aufgenommen werden kann. Bereits unter den Schulen gibt es ein hart umkämpftes Ranking mit strikt geregelten Zugangsvoraussetzungen.
Vormittags Schule, nachmittags Nachhilfe
Wöchentliche Klassenarbeiten in den Hauptfächern sind keine Seltenheit und regelmäßig wird in den Prüfungen mehr abgefragt als im Unterricht behandelt wurde. Wer ganz vorne mitmischen will, kommt an zusätzlichem Nachhilfeunterricht nicht vorbei. Mathematik, Englisch, Mandarin und Naturwissenschaften stehen ganz oben auf der Liste. An mehreren Nachmittagen in der Woche wird nach dem regulären Unterricht daher noch gepaukt. Das gewaltige Arbeitspensum und der erhöhte Druck lassen viele Schüler nahezu rund um die Uhr büffeln.
Spezialisierte Nachhilfeschulen bieten ihre Dienste am Nachmittag, an den Wochenenden sowie in den Ferien an. Diesen Zusatzunterricht lassen sich Mütter und Väter durchaus etwas kosten: Förderkurse im so genannten Enrichment oder Tuition Centre sind fest im Familienbudget eingeplant. Einer Untersuchung zufolge geben Eltern umgerechnet über 700 Millionen Euro jährlich für Nachhilfe aus. Eine ganze Industrie hat sich hier im Bildungssektor entwickelt: Rund 1.000 solcher Einrichtungen gibt es mittlerweile in Singapur. Tendenz weiter steigend, denn das Nachhilfegeschäft prosperiert. Selbst wenn ein Kind gute oder gar sehr gute Noten mit nach Hause bringt, ist die Angst der Eltern groß, der Nachwuchs könne irgendwann den Anschluss verlieren. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass sich Eltern vor den entscheidenden PSLE-Abschlussprüfungen bei ihrem Arbeitgeber für mehrere Wochen beurlauben lassen, um ihre Kinder optimal vorbereiten und betreuen zu können. Die Angst, der eigene Nachwuchs könne im Unterricht nicht mithalten und später Nachteile in Kauf nehmen müssen, trifft ins Mark der chinesischen Kiasu-Mentalität. Es ist die Angst, nicht in der ersten Reihe zu stehen, und die ist in Asien tief verwurzelt.
Oft genug wird das Bildungssystem auch mit einem Dampfkochtopf verglichen. Dass sich die eigenen Eltern krumm machen für die Ausbildung ihrer Kinder, verpflichtet diese nur noch mehr. Während die Mehrheit der Jugendlichen aus dem Westen eher Tod oder Krankheit von Familienmitgliedern oder den Verlust von Freunden befürchten, nennen singapurische Altersgenossen an dieser Stelle die Angst vor schulischem Versagen. Topnoten sind und bleiben nun einmal der Traum aller Eltern. Schließlich investieren sie nicht umsonst so viel in ihren Nachwuchs und setzen alle Hoffnungen in ihn. Häufig hört man von Eltern: „Wir wollen nur das Beste für unser Kind. Glücklich soll es werden .... und eben Arzt.“
Der Dampfkochtopf fordert seinen Preis
Kinder in Singapur verbringen überdurchschnittlich viel Zeit über Büchern und am Computer. Über die Hälfte von ihnen trägt daher bereits sehr früh eine Brille und macht Singapur damit zur Kurzsichtigkeitshauptstadt der Welt. Doch auch mental hinterlassen Ehrgeiz, Stress und Leistungsdruck ihre Spuren. Untersuchungen zufolge sollen bis zu 13 Prozent der Schülerinnen und Schüler bereits im Grundschulalter an Depressionen und Angstattacken leiden. Immer wieder wählen Schüler den Freitod als Ausweg, weil sie dem Druck nicht mehr standhalten. Eine traurige Begleiterscheinung der Leistungsgesellschaft. Erst vor wenigen Monaten sprang ein 12-Jähriger vom Balkon eines Hochhauses. Er hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er sich bei seinen Eltern entschuldigte, ihrer nicht würdig gewesen zu sein. Wiederholt hatte er es nur auf 97 von 100 Punkten in seinen Prüfungen gebracht. Den Ansprüchen seiner Eltern hatte er damit offenbar nicht gerecht werden können. Ein hoher Preis mit fatalem Ausgang!
Die konsequente Ausrichtung an akademischen Höchstleistungen hat wesentlich zum beeindruckenden ökonomischen Aufschwung in den vergangenen Dekaden beigetragen. Talent soll früh entdeckt und gefördert werden. Darauf bauen Schule und Universität auf. Dies spiegelt sich auch in den Ausgaben für Bildung wider, die derzeit rund 15 Prozent des gesamten Staatshaushalts ausmachen. Der Etat soll in Zukunft sogar noch steigen, um auch das Lernen nach Schule und Universität durch berufsbegleitende Weiterbildung zu fördern. Wenn es um Leistung geht, hat Mittelmaß in Singapur keine Berechtigung.
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